«Sie meinte, ich hätte eine schöne Figur»
Daniela Cott arbeitete als Lumpensammlerin in Buenos Aires, bevor sie von der Model-Agentur Elite entdeckt wurde. Heute schwebt die sechzehnjährige Argentinierin über die Catwalks von Paris und Mailand. Später möchte sie vielleicht Anwältin werden.Von Alex Baur
«Ich glaube, ich würde das Geld verschenken»: Model Cott, 16. Bild: Elite
Frau Cott, wie fühlen Sie sich als rising star in der internationalen Model-Szene?
Frau Cott, wie fühlen Sie sich als rising star in der internationalen Model-Szene?
Ach, ganz gut. Im letzten Monat war ich in Paris, jetzt bin ich in Mailand. Davon träumt natürlich jedes Model. Aber wenn Sie nach dem Gefühl fragen – ich fühle mich oft einsam. Meine Geschwister fehlen mir sehr. Weihnachten reise ich heim nach Buenos Aires, ich kann es kaum erwarten. Meine grösste Sorge ist im Moment, wo ich die Geschenke für meine grosse Familie verstauen soll.
Millionen von Mädchen würden alles geben, um dort zu stehen, wo Sie stehen – und Sie reden von Ihrer Familie.
Ach, ich liebe meine Arbeit als Model – in der Welt herumkommen, mich herrichten, posieren, das perfekte Bild zu kreieren, das ist faszinierend und anspruchsvoll. Aber es war eigentlich gar nie mein Traum. Ich wollte Anwältin werden. Und plötzlich war ich mitten im Model-Business.
Sind Sie mit sechzehn nicht etwas gar jung, um allein in der Welt herumzureisen?
Ich habe eine Bewilligung meiner Mutter. Ich muss stark sein, ich weiss, was ich will. Das Model-Business ist hart und kompetitiv. Für Träume ist da wenig Platz.
Was war der entscheidende Moment in Ihrer bisherigen Karriere?
Meine Wahl zum Model des Jahres 2007 in Buenos Aires. Unter tausend Konkurrentinnen beim Elite-Contest wurde ich auserwählt. Ich hatte nie damit gerechnet; als ich meinen Namen hörte, schaute ich mich erst um, so als wäre eine andere Daniela Cott gemeint sein, die neben mir stand. Total doof, oder? Ich habe auch nicht geweint, die anderen weinten. Es war ein langer Tag, ich fuhr nach der Wahl im Bus nach Hause und legte mich schlafen. Es dauerte einige Tage, bis ich begriffen hatte, dass sich mein Leben nun komplett ändern würde. Bis dahin war das alles ein Spiel.
Sie kommen aus einer sehr grossen Familie und aus sehr einfachen Verhältnissen.
Ja, ich habe acht Geschwister, und wenn man jene dazuzählt, die mein Vater ausserhalb der Ehe gezeugt hat, sind wir elf. Meine älteste Schwester ist 26, die kleinste zwei. Ich bin mit lauter Brüdern aufgewachsen. Während andere mit Puppen spielten, habe ich Fussball gespielt und mich viel gerauft. Das Leben im Barrio Eva Perón, wo ich herkomme, ist ziemlich roh – Drogen, Prostitution, Kriminalität. Mein Vater ist Maurer. Als ich zehn Jahre alt war, liess er meine Mutter samt den Kindern sitzen. Fortan verdienten wir unser Leben als cartoneras, als Lumpensammlerinnen.
Was heisst das?
Wir reisten am Abend, zwischen 17 und 22 Uhr, nach Palermo, einem besseren Viertel von Buenos Aires. Dort zogen wir von Haus zu Haus und durchsuchten den Abfall nach rezyklierbarem Material – Karton, Papier, Aluminium, Eisen, Glas , das haben wir getrennt und verkauft. Mit der Zeit kannten uns die Concierges und liessen uns in die Häuser herein.
Zwischen Abfall wurden Sie zum Model.
Ja. (Lacht) Auf meiner Tour lernte ich Marina González Winkler kennen, eine Künstlerin, die in Palermo wohnt. Ich hatte mir mit einer Glasscherbe die Hand zerschnitten; Marina nahm mich in ihre Wohnung mit und verband die Wunde. Sie meinte, ich hätte eine schöne Figur. Zum Spass lieh sie mir ein paar Kleider und High Heels, auf denen ich kaum stehen konnte, und machte Fotos von mir. Diese schickte sie an die Agentur Elite. Dr. Salvador Jaef, ein bekannter Chirurg und Direktor der Agentur, mein heutiger Agent, war begeistert. Er organisierte mir ein Stipendium; zuerst musste ich ein halbes Jahr lang auf eine Akademie, wo ich laufen, mich schminken lernte und all die Dinge.
Und die Schule?
Ich ging am Morgen in die Schule. Danach fuhr ich gleich ins Zentrum zur Akademie, bis 17 Uhr. Es war nicht einfach, man sagte mir, ich laufe wie ein Bursche; ich fühlte mich auch nicht sehr wohl unter lauter feinen Mädchen. Danach ging ich gleich zum Abfallsammeln bis 22 Uhr. Doch davon wusste natürlich niemand in der Akademie.
Haben Sie das zu spüren bekommen, dass Sie «bloss» eine cartonera waren?
Hm, ich weiss nicht. Mir ist das egal. Selbst wenn ich Millionen verdienen sollte, ich änderte mich nicht. Ich glaube, ich würde das Geld verschenken. Ich finde das schrecklich, wenn Leute abheben, so wie Maradona, nur weil sie berühmt sind. Ich bin eine cartonera; als cartonera wurde ich Model, ich bleibe eine cartonera. Das ist ein Teil meiner Geschichte geworden, das hat mich berühmt gemacht. Beim Contest hörte ich, wie Leute abschätzig hinter meinem Rücken tuschelten. Das ist vorbei. Heute sprechen mir die Leute eher Mut zu im Sinne von: «Zeig es denen.»
Was kam nach dem Sieg in Buenos Aires?
Ich reiste zur Weltausscheidung nach Prag, dort schaffte ich es unter die ersten fünf. Das war meine erste grosse Reise, mit fünfzehn Jahren. Ich sass erstmals in einem Flugzeug, sah zum ersten Mal das Meer, hatte zum ersten Mal ein Zimmer für mich allein.
Jetzt sind Sie berühmt – werden Sie in Ihrem Quartier bleiben?
Wahrscheinlich werden wir wegziehen. Ich wurde schon zweimal überfallen. Beide Male haben sie mich mit einem Messer bedroht und mir die Schuhe abgenommen; einmal die neuen Sneakers, die ich anhatte, einmal solche, die ich eben gekauft hatte.
Wann haben Sie die erste Zigarette geraucht?
Mit elf. (Kichert) Aber heimlich. Ich war nie süchtig. Wir hatten eine Erziehung alter Schule. Meine Eltern sind sehr streng, wir haben sie immer mit Sie angesprochen. Eine gewisse Disziplin und Prinzipien sind nötig, wenn man in einem Barrio wie dem unsrigen aufwächst. Sonst kommt einer schnell auf die schiefe Bahn.
Haben Sie einen Freund?
Ja, er ist 22 und studiert Veterinärmedizin. Er ist mein erster Freund, das heisst der erste, den ich nach Hause gebracht habe. Er hat mich viele Dinge gelehrt.
Ihre Mutter bekam in Ihrem Alter ihr erstes Kind. Wie sieht das bei Ihnen aus?
(Lacht) Das hat noch viele Jahre Zeit. Ich werde zuerst meine Karriere verfolgen. Vielleicht gelingt es mir, Schauspielerin zu werden, vielleicht werde ich sogar eines Tages Anwältin. Nur eine Vedette, einer dieser Möchtegernstars, die in Wahrheit Mätressen sind, das möchte ich nie werden.
«Das Model-Business ist hart und kompetitiv. Für Träume ist da wenig Platz.»
Die Argentinierin Daniela Cott, 16, wurde im August 2007 von der Agentur Elite, die Stars wie Cindy Crawford oder Gisele Bündchen hervorgebracht hat, in Buenos Aires unter 1000 Anwärterinnen zum Model des Jahres gewählt; bei der Weltauswahl von Elite in Prag schaffte sie es unter in die besten fünf. Zuletzt weilte das Nachwuchstalent für Aufnahmen in Paris und Mailand, wo sie die Weltwoche zum Gespräch getroffen hat.
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